Ein Erfahrungsbericht aus der Pilotredaktion Löbau/Zittau der Sächsischen Zeitung.
User Needs sind in aller Munde, doch was kann das Modell in der Praxis?
Viele Zeitungsredaktionen arbeiten inzwischen damit. Wer es nicht tut, fragt sich: Ist das auch was für uns und wie können wir das Modell nachhaltig in unserer Redaktion implementieren? Wir haben Thomas Mielke, Leiter der Redaktion Löbau/Zittau der Sächsischen Zeitung, nach seinen Erfahrungen gefragt. Er arbeitet seit Oktober 2023 mit seiner Redaktion konsequent nach dem User Needs Modell. Begleitet wurde der Prozess von uns Mehrwertmachern, die gemeinsam mit Claudia Schade, Head of Audience Development bei sächsische.de, einen eigens konzipierten User-Needs-Workshop mit der Zittauer Redaktion getestet hat.
Wie sieht unser User-Needs-Modell aus?
Das User-Needs-Modell wurde im Sommer 2017 bei der BBC entwickelt. Unter dem Namen „news user needs“ hatte Dmitry Shishkin unterschiedlicher Nutzerbedürfnisse identifiziert und kategorisiert. Sein im März 2023 gelaunchtes, überarbeitetes User-Needs-Modell 2.0 bildet insgesamt acht Bedürfnisse ab:
- Inspire me (Inspiriere mich)
- Divert me (Unterhalte mich)
- Educate me (Erklär’s mir)
- Give me perspective (Befähige mich zur eigenen Meinung)
- Help me (Hilf mir)
- Update me (Gib mir die Neuigkeit)
- Keep me engaged (Lass mich teilhaben)
- Connect me (Verbinde mich)
Nach diesen Leser-Bedürfnisse können Redaktionen ihre Themen planen bzw. ein Thema für ihr Publikum ansprechender und nachvollziehbarer vermitteln. Das erhöht nachweislich die Nutzungsdauer und Bindung an das journalistische Produkt.
In den Redaktionen der Sächsischen Zeitung hat man sich auf die Nutzung der ersten sechs User Needs verständigt.
Warum sollte ich in meiner Redaktion nach User Needs schreiben?
Die Ausgangslage in vielen Redaktion ist, dass 40 bis 50 % der geschriebenen Artikel Geisterartikel sind – Artikel, die kaum einer liest. Das kann sich eigentlich keine Redaktion leisten. Papierpreise, knappe personelle und zeitliche Ressourcen, Leserbindung usw. – die Herausforderungen sind bekannt.
Kein Bäcker kann es sich leisten, jeden Tag die Hälfte seiner Backwaren für die Tonne zu produzieren. Warum soll es Tageszeitungen mit ihren Inhalten anders gehen?
Thomas Mielke startete im Oktober 2023 mit dem Ziel, die Geister-Artikel-Quote seiner Redaktion zu senken und in der Konsequenz den Output nicht gelesener Artikel zu reduzieren.
Startpunkt war der gemeinsame User-Needs-Workshop mit der Redaktion und die Verständigung auf konkrete Ziele. Nicht nur die Redaktion insgesamt, sondern auch jede einzelne Reporterin und jeder Reporter hat sich persönliche Ziele gesetzt. Das Nachhalten sieht Thomas Mielke als Aufgabe der Leitung. Ein Teil des Erfolges des User-Needs-Modells basiert auf dem konsequenten Hinterfragen potenzieller Geisterinhalte: Können wir Artikel, die kaum einer liest, einfach weglassen? „Meine größte Angst war, wenn wir den Output verringern, schrumpft die Reichweite. Das stimmte aber nicht, und so war es am Ende kein Hexenwerk: Was nicht geht, wird weggelassen.“ Den Großteil des Erfolges leisten die Journalisten mit ihren Texten, die sich an den Bedürfnissen des Publikums orientieren. Obwohl die Anzahl der veröffentlichten Artikel gesunken ist, sank die Gesamtreichweite der lokalen Inhalte in Löbau und Zittau nicht. Weniger Geister-Artikel zu produzieren, heißt für die Redaktion, mehr Kraft auf relevante Themen legen zu können. Ein Erfolg. „Das User Needs Modell hat geholfen, das schon jahrelange Bauchgefühl, wie wir Themen für den Leser aufbereiten, in eine Struktur zu gießen“, sagt Thomas Mielke. „Wir konzentrieren uns jetzt ausschließlich auf relevante Themen. Das schafft Freiraum.“
Funktioniert das Modell in jeder Redaktion?
Thomas Mielke ist davon überzeugt, dass die Arbeit nach User Needs für jede Redaktion funktioniert. Mittlerweile arbeiten alle Lokalredaktionen der Sächsischen Zeitung nach dem Prinzip. Das Zauberwort ist wie immer: Dranbleiben. Für den User-Needs-Workshop hat die Sächsische Zeitung ihre sechs User Needs auf einen Holzwürfel drucken lassen. Bei jeder Themenrunde in Zittau werden so die User Needs spielerisch eingebaut. Außerdem gab es für die Kollegen Aufkleber mit dem User-Needs-Rad für ihre Laptops. Und Thomas Mielkes Hintergrundbild in den Teams-Calls? Das User-Needs-Rad. 😊
„Manchmal sind die User Needs nicht ganz trennscharf. Es kommt vor, dass drei User Needs auf einen geplanten Text passen. Dann wird überlegt, welcher User Need die größte Zielgruppe hat und was für die Nutzer am wichtigsten ist. Danach wird geschrieben“, so Thomas Mielke. Auch seine Redakteure werden immer sicherer, den richtigen User Need zu identifizieren. „Es gibt eine Lernkurve. Irgendwann wird es intuitiv und darum bin ich sicher, dass wir auch in Zukunft nach User Needs schreiben werden.“
Die Redaktion von Thomas Mielke ist bei der Sächsischen Zeitung Pilotredaktion für „online first“ und das User-Needs-Modell. „Es ist schön, wenn wir im hintersten Eck Aufmerksamkeit bekommen.“ Und auf die Frage, wie seine Redakteure auf das neue Modell reagiert haben, meinte er: „Die hatten richtig Bock drauf.“
Und wenn Sie auch Lust bekommen haben, nach User Needs zu arbeiten, dann buchen Sie uns. Wir haben das User-Needs-Modell bereits in mehreren Redaktionen der Sächsischen Zeitung eingeführt und nachgehalten. In diesem LinkedIn-Beitrag erhalten Sie Einblick, nach welcher Methode wir das Modell in Ihrer Redaktion implementieren: https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:7190630142656880643
Wir freuen uns auf Ihre Mail an [email protected].