Gemeinsam mit 550 Leserinnen und Lesern begleitet Lesewert Regionalzeitungen durch den (Nach-)Corona-Herbst 2021
Mit Corona leben lernen – im Zeichen dieses allgegenwärtigen gesellschaftlichen Ziels steht der Herbst 2021 auch für Lesewert. Mit drei Mess-Projekten unterstützen wir regionale Zeitungen auf ihrem Weg in die neue Normalität. Auf Basis des aktiven Leserfeedbacks und ausgewählter digitaler Nutzungsdaten erarbeiten wir gemeinsam mit den Redaktionen Antworten auf Fragen wie diese:
- Wie haben sich die Themen-Präferenzen der Leserinnen und Leser verändert?
- Gibt es einen „neuen“ Alltag und, wenn ja, wie sollte eine Tageszeitung ihn abbilden?
- Welche Perspektiven auf Corona sind weiterhin unverzichtbar, wo ist welche Form von Information und Einordnung vonnöten?
- Wie weit sollte man das Rad in Sachen Termine, Veranstaltungen, Lokalkultur und Lokalsport zurückdrehen (wenn überhaupt)?
- Wie entwickelt die Redaktion zwischen Home-Office und Rückkehr in die Verlagshäuser zeitgemäße, sichere und am Publikum orientierte Arbeitsweisen?
Drei Herbst-Messungen und das größte Projekt der Lesewert-Geschichte
Wir sind in dieser Woche mit drei Ausgaben beim Weser-Kurier in Bremen und umzu gestartet (im Bild ein Artikel zum Messstart). Gleichzeitig geht die zweimonatige Begleitung des Pinneberger Tageblatts zu Ende, während die Messung der Sächsischen Zeitung in Dresden wie schon seit 2013 dauerhaft für Feedback sorgt. Zusammen werden damit in diesem Herbst ca. 550 Leser:innen ihr Leseverhalten mit uns und den Redaktionen ihrer Zeitung teilen. Im größten Projekt der Lesewert-Geschichte hatten wir im Frühjahr schon mit 600 Teilnehmer:innen bei der Süddeutschen Zeitung wertvolle Erkenntnisse gesammelt.
Auch wir mussten für unsere Arbeit mit diesem wertvollen Datenfundus neue Antworten finden und uns umstellen. Lesewert-Coach Christian Eißner konnte zwar zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder ein Lesewert-Redaktionsbriefing vor Ort durchführen. Dennoch besteht das neue Normal auch für uns überwiegend aus digitaler Begleitung, aus virtuellen Coachings, Präsentationen und Workshops. Das ist Herausforderung und Chance zugleich. Als Berater:innen vermissen wir den persönlichen Kontakt sehr. Gleichzeitig können wir die Erkenntnisse per Teams, Zoom oder Google Meet in einer viel breiteren Redaktionsöffentlichkeit präsentieren und diskutieren als zuvor. Der gemeinsame digitale Blick auf Produkt und Daten oder auch das gemeinsame Arbeiten mit virtuellen Whiteboards und Tools erweist sich im Vergleich zum Telefoncoaching der Vor-Corona-Zeit klar als nachdrücklich- und damit auch nachhaltiger.
Mit Corona leben lernen: Wir arbeiten dran, mit großer Neugier und Freude und am liebsten mit Ihnen und Ihren Leserinnen und Lesern!
Sport, insbesondere der Lokalsport, ist in der Regel ein Nischenressort. Hier pickt sich der Leser genau das heraus, was ihn interessiert: Den Heimatverein, der in die Kreisliga aufgestiegen ist, den Bericht über den Skisprung-Weltcup vom Wochenende oder die deutschen Leichtathletik-Meisterschaften. Sportredakteure haben es deshalb auch ohne Corona schwieriger als ihre Kollegen, viele Menschen zum Lesen ihrer Seiten zu bewegen. Bei Lesewert messen wir seit Jahren, was im Sport funktioniert — und was nur bedingt. Dabei hat sich vor allem eine Erkenntnis durchgesetzt: Wer auch Leser mitnehmen möchte, die den Sportteil im Normalfall eher überblättern, kann dies mit Geschichten erreichen, die ebenfalls neue Perspektiven einnehmen. Und auch beim Sport gilt es, die besonderen Präferenzen der lokalen Fanszenen zu berücksichtigen.
In der Zeit der Corona-Krise finden aktuell auf allen Ebenen keine Sportveranstaltungen statt. Gerade jetzt können Redaktionen auch für die zukünftige Ressortarbeit profitieren, in dem sie vermehrt auf Themen setzen, die hohe Leseanreize bieten. In unserem neuen Angebot, der Lesewert-Themenkonferenz zum (Lokal-)Sport, wurden viele Tipps gesammelt und konstruktive Diskussionen geführt. Die Ergebnisse haben wir hier für Sie zusammengefasst:
DIE TOP-VEREINE IN DEN FOKUS NEHMEN
In jeder Region gibt es ihn: Diesen einen erfolgreichen Verein, der die Massen in Stadien und Arenen zieht. Nicht immer, aber meistens handelt es sich hierbei um Fußballclubs. Und auch außerhalb des Normalbetriebs sind die Fans glühend an den Entwicklungen innerhalb des Vereins interessiert. Hauptansprechpartner sind hier Personen aus der sportlichen Leitung, sprich vor allem Sportgeschäftsführer und Trainer. Eine der Fragen, die allen Fans unter den Nägeln brennt: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat Corona auf den Verein? Können gute Spieler gehalten werden, wie sieht es mit künftigen Ticketpreisen und dem Equipment aus? Springen Sponsoren ab?
Bei kleinen Vereinen steht nicht selten sogar die Existenz auf dem Spiel, an einigen Stellen musste bereits Insolvenz beantragt werden. Unser Tipp für den Lokalsport: Ein Überblick über die finanzielle Situation der Vereine in der Region nimmt Leser abseits von Partikularinteressen mit. “Wir haben eine Umfrage unter zwanzig Sportvereinen in der Region gemacht. Wir haben sie gefragt, wie es ihnen geht und daraus eine kleine Print-Serie entwickelt, die sehr gut lief”, so Christian Detloff von der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Ebenfalls empfehlenswert: Lokale und überregional bekannte Persönlichkeiten, die eine besondere Geschichte zu erzählen haben, sollten mit ins Blatt genommen werden, ebenso wie alle gesundheitlichen Aspekte rund um Leistungssport und Top-Vereine.
EMOTIONALE UND PERSÖNLICHE GESCHICHTEN ERZÄHLEN
Welcher Sportredakteur kennt das nicht? Spielberichte über Spielberichte füllen das Blatt und obwohl der gerade interviewte Sportler eine spannende Hintergrundgeschichte zu erzählen hätte, ist einfach kein Platz für private Blicke hinter die Kulissen, die etwas größer aufgezogen sind. Unsere Lesewert-Analysen zeigen: Genau die Artikel, die den Blickwinkel weg von reinen Ergebnissen hin zum Menschlichen öffnen, erzielen hohe Quoten. Das gilt auch ohne Corona. Doch in der Zeit der Wettkampf-Flaute sollte die Chance genutzt werden, genau solche Formate vermehrt auszutesten.
Hierbei können sowohl Sportler in den Fokus genommen werden, die selbst direkt mit Corona zu kämpfen haben/hatten oder aber — wie alle anderen Menschen — indirekt durch die Maßnahmen betroffen sind. Wie trainieren eigentlich Kugelstoßer und Weitspringer, wenn ihre Trainingsstätten geschlossen sind und die Kinder bei den Schulaufgaben betreut werden möchten? Und was treiben Amateurfußballer außerhalb ihrer Rolle auf dem Rasen? Ob sie Bäckermeister oder Lehrerinnen sind — ein Blick durchs Schlüsselloch ist für alle Leser spannend, besonders, wenn Menschen ungewohnte Rollen einnehmen.
GESUNDHEIT UND FITNESS: DIE ZEITUNG ALS RATGEBER
Nur zuhause auf der Couch liegen und gutes Essen genießen ist weder förderlich fürs Gewicht, noch für Gelenke und Knochen. Wie kann ich mich während Corona fit halten? Das fragen sich viele Leser. Wer darauf Antworten geben kann, erhöht seine Chancen auf gute Lesewerte. Als Gesprächspartner kommen hier vielerlei Experten in Frage, so etwa Sportmediziner, Sportpsychologen, aber auch Physiotherapeuten und Fitnesstrainer. Thematisch öffnet sich im Bereich Gesundheit, auch sonst ein Muss-Thema für Leser, ein breites Feld. Dieses reicht von konkreten Übungen, die auch ohne Gewichte und sonstiges Zubehör ausgeführt werden können, über Ernährungspläne bis zu alltagsrelevanten Corona-Fragen ala “Ist Sportmachen jetzt noch gesund?”(PLUS).
REPORTAGEN UND HISTORISCHES
Die Leser begleiten und mitnehmen: Was für Profisportler zählt, zählt auch für den Ingenieur, der im Privaten gerne an Marathons teilnimmt und sich während Corona im eigenen Wohnumfeld auf Trab hält. Derartige Geschichten bieten sich gut für Reportagen an, denn sie bieten dem Leser die Möglichkeit, am Alltag der Menschen im eigenen Landkreis oder der eigenen Gemeinde nahe zu sein und gleichzeitig physische Distanz zu halten. Gleichzeitig schaffen diese Themen eine Identifikationsebene, die über den Schlüsselloch-Effekt bei Profisportlern hinausgeht.
Ein Blick zurück, das bietet sich in der Corona-Berichterstattung aller Ressorts an, selbstverständlich auch beim Sport. Große Erfolge wecken Emotionen, Hintergrundgeschichten zu historischen Sportereignissen erlauben den Lesern in die Vergangenheit zu reisen und einen neuen Blick auf mehr oder minder noch präsente Events und Entwicklungen einzunehmen. Eine Serie, in der die ehemalige Olympiasiegerin im Schwimmen, Rica Reinisch, über ihren Werdegang und das umfassende Doping in der DDR spricht, holte bei der Sächsischen Zeitung in den letzten Wochen immer wieder viele Leser ab. Derartige Schicksalsgeschichten, bereits verstorbene Sportler und legendäre Wettkämpfe wecken die Emotionen der Leser.
WIE GEHT ES DEN LOKALEN SPORTANBIETERN?
Ob Fitness-Studio, Yoga-Gruppe oder Boxclub: Viele Leser sind auch außerhalb von Vereinen bei lokalen Sportanbietern aktiv — und vermissen in der Corona-Zeit die Möglichkeit, sich mit Trainingspartnern in den gewohnten Räumlichkeiten zu treffen. Dementsprechend hoch ist auch das Leserinteresse an Geschichten, die dort spielen. Geht es dem Betreiber finanziell gut? Wann könnte unter welchen Umständen wieder geöffnet werden? Werden die (Klein-) Unternehmer in dieser schwierigen Phase unterstützt, gibt es vielleicht sogar Alternativen wie Personaltrainings unter freiem Himmel mit entsprechendem Abstand?
SKANDALE UND KONTROVERSEN
Schmiergelder, hohe Profi-Gehälter, Zwangsarbeiter. Der Spitzensport wird in regelmäßiger Zuverlässigkeit von neuen Skandalen erschüttert, die Debatten über die zunehmende Kommerzialisierung vieler Sportarten ist ein Dauerbrenner, zu dem quasi jeder Leser eine Meinung hat. Und auch nach Corona wird Profisport weiterhin ein Thema der Massen sein und Milliarden Euro pro Jahr an Tickets und Sendelizenzen einspielen. Es lohnt sich, diese Kontroversen aktuell größer und hintergründiger in der Blattplanung zu berücksichtigen, denn hier sind hohe Lesewerte erwartbar. Auch im Lokalen können Themen generiert werden, etwa wenn es um die Gewalt gegenüber Schiedsrichtern geht. Ein wacher Blick auf schwelende Konflikte und bestehende Ungerechtigkeiten lohnt sich dementsprechend.
ZEIGEN SIE SICH!
Viele Lokalzeitungen haben ihren Lesern in den vergangenen Wochen Persönliches gezeigt. Ob im Online-Blog, einer Print-Artikelserie oder per Video: Jetzt ist die Möglichkeit, Nähe und Transparenz gleichermaßen zu schaffen. Das gilt auch für den Sport. Was war das kurioseste Fußballspiel, das Sie als Redakteur je begleitet haben? Erzählen Sie spannende Geschichten, die sich hinter den Kulissen abgespielt haben oder beweisen Mut, indem Sie sich selbst etwa einem Fitnesstest unterziehen. Die Leser werden es honorieren. Das beweisen die durchgängig hohen Lesewerte bei unseren Messungen der letzten Wochen.
WEITERE THEMENTIPPS:
Auswirkungen von Corona auf Sportveranstaltungen im öffentlichen Raum: In nahezu jeder Region des Landes finden über das Jahr verteilt beliebte sportliche Großveranstaltungen jeder Profession und Leistungsklasse statt. Vom Marathon gegen Krebs über Motorrad-WM bis zum Downhill-Cup: Wie geht es mit diesen Events weiter, planen die Veranstalter Absagen, Verschiebungen?
Hallen- und Freibäder: Die Sommerhitze rückt näher, Reisen ans Mittelmeer erscheinen zunehmend unwahrscheinlich. Umso wichtiger für die Leser: Kann ich bei dreißig Grad im Schatten zumindest mein örtliches Freibad besuchen? Wann werde ich wieder Bahnen im Hallenbad ziehen dürfen? Ein Thema, das gut gelesen wird und aktuell ruhig im lokalen Sportteil seinen Platz finden sollte.
Sport treiben in der Öffentlichkeit: In der Zeit des Lockdowns und geschlossenen Fitnessstudios zieht es immer mehr Menschen nach draußen. Doch wohin darf ich mit dem Rad fahren oder joggen? Sind Yoga-Übungen im Park mit Pausen auf der Bank erlaubt? Ratgeberthemen dieser Art berühren den momentanen Lebensalltag der Leser und ziehen sie deshalb ins Blatt.
Die Leere visualisieren: Stadien ohne Fans, Schwimmbecken ohne Schwimmer, Rennstrecken ohne Rennboliden. Bilderstrecken von leeren Sportstätten zeigen eher ungewohnte Blicke für die Leser und sind besonders dann interessant, wenn sie mit der um sich greifenden Melancholie in Verbindung gebracht werden. Hierfür eignen sich Texte, die deren sonst so engagierten Mitarbeiter in den Fokus rücken.
Sportler fernab von zuhause: Die Corona-Pandemie betrifft die ganze Welt. Und wo ein Blick ins Ausland sonst eher mittelmäßige Lesewerte erreichte, stoßen Geschichten aus anderen Ländern gerade auf hohes Interesse. Nicht nur sportbegeisterte Leser wollen wissen: Wie ist die Lebenssituation an anderen Flecken dieser Erde? Deutsche Sportler, die in den USA, Asien oder Australien leben, stellen aktuell gute Protagonisten für Artikel dar.
Wie engagieren sich Vereine, Promis und Fans? Ob Plakate, Tanzvideos oder kreative Spendenaktionen: Die Teilnehmer der Lesewert-Pressekonferenz berichteten von vielen positiven Rückmeldungen auf das Engagement der örtlichen Sportgruppen, das von den Zeitungen unter anderem mit Artikeln, Videomaterial und Bilderstrecken begleitet wurde. Lesernähe und regionale Verbundenheit herzustellen kann als Goldstandard für redaktionelle Arbeit in der Corona-Krise bezeichnet werden.
Kreative Alternativen finden: “Wir tragen jetzt eine Vereinskreismeisterschaft an der Spielkonsole aus”, erzählte Bernd Ernemann vom Münchner Merkur. Die Idee sei lokal so gut angekommen, dass sogar ein überregional bekannter Weißbierproduzent als Sponsor eingestiegen sei. Derartige digitale Formate können problemlos online stattfinden und im Print launig als Spielerporträts aufbereitet werden.
Kolumnen und Kommentare: Klare Haltung zahlt sich aus und ein humorvoller Blick macht die Corona-Krise erträglicher. Die Leser wollen mitreden, mitschmunzeln und miterleben. Tagebuchkolumnen bekannter Sportler, das Kommentieren von Kontroversen und auch essayistische Beiträge schaffen beim Leser das Gefühl, in Kontakt zu stehen und begleitet zu werden.
CORONA ALS MOTOR DES ERFOLGREICHEN SPORTJOURNALISMUS
Zwei Themenkonferenzen zum Thema Lokalsport haben unsere Lesewert-Coaches bisher durchführen dürfen — mit durchgängig positivem Feedback. Vor allem über eines waren sich die Teilnehmer einig: Wenn eine Redaktion den Mut aufbringt, die Grenzen klassischer Spielberichterstattung zu sprengen, dann öffnet dies den Zugang zu ganz neuen Lesergruppen. Der durch Corona erzwungene Kurswechsel zeigt: Es geht auch anders. Plötzlich interessieren sich die Leser selbst für Randsportarten wie Schach — weil emotionale Geschichten hinter dem reinen Wettkampf stecken.
Carsten Heil, stellvertretender Chefredakteur der Neuen Westfälischen forderte in der zweiten Konferenz auch ein Umdenken, was die Seitenumfänge angeht. “Qualität können wir nur durch Reduktion liefern, denn dann bleibt den Sportredakteuren die Zeit, gute Geschichten zu erzählen”. Katharina Tontsch von den Erlanger Nachrichten hofft, dass es durch Corona in Sportredaktionen durchgängig “Klick im Kopf” macht. Um die von langen Spielberichten verwöhnten Vereine der Region nicht durch die Umstellung vor den Kopf zu stoßen, empfiehlt Christian Pack von der Mediengruppe Oberfranken im Übrigen regelmäßige runde Tische. Sein Fazit: “Corona hat geholfen, Redakteure von der Blattstruktur zu lösen.” Ist das der Beginn einer großen Transformation? Es sieht danach aus. Schon jetzt haben viele Verlage angekündigt, ihre Sportredaktionen von Grund auf umzubauen.